Ortschronik Wildenreuth

zurück

Trink­was­ser­ver­sorgung von Wildenreuth


Am Lumpenbrunnen im Jahr 1935

Am Lumpenbrunnen im Jahr 1935

Bis 1902 war bloß ein kleiner Teil Wildenreuths genügend mit Koch- und Trinkwasser versorgt. So führte eine Holzleitung von einer offenen Quelle, nahe am südöstlichen Teil des unteren Tradweihers gelegen, das Wasser zum Röhrkasten neben dem Hause des Platzschmiedes, das Abwasser wurde in den Ökonomihof des Schlosses geleitet und füllte dort einen steinernen Trog. Die Gutsherrschaft besaß außerdem zur Versorgung mit Trink- und Kochwasser eine eigene Holzrohrleitung, deren Quellen in den Rohrwiesen lagen. Der bedachte Brunnen in der Herrnmühlpaint, im Winter schwer zugänglich, versorgte einen großen Teil des unteren Dorfes mit Trink- und Kochwasser. Für die Bewohner Haus-Nummer 29 / 30 war ein Brunnen in der Meierpaint am Friedhofsweg vorgesehen. In der oberen Gasse war die Trinkwasserversorgung am allerschlechtesten. Den Bewohnern stand der Lumpenbrunnen zur Verfügung, der reichlich Wasser lieferte, aber bei heftigen Regengüssen, bei anhaltendem Regenwetter, oh Graus! wie sah das Wasser aus! Braun wie Kaffee. Das Abwasser der höher gelegenen Dungstätte in Haus-Nummer 41 lief in den Brunnen. Tagelang währte dieser Übelstand. Endlich kommen wir zu den vielen Pumbrunnen, die ebenfalls zweifelhaftes Trinkwasser lieferten. Johann Grünbauer, Haus-Nummer 47, stellte im Namen mehrerer Ortsbürger an den Ortsausschuß das Ansuchen, ihnen zu genehmigen, daß von der bestehenden gemeindlichen Holzrohrleitung auf ihre Kosten eine Zweigleitung für das obere Dorf gebaut werde (1885/1886), aber ohne Erfolg. Einige Jahre später stellte Johann Grünbauer das Gesuch, der Ortsausschuß wolle ihnen gestatten, daß sie eine Quelle im Straßengraben neben Meckels Feld (Glashüttenweg) fassen und das Wasser bis Haus-Nummer 47 leiten und dort einen öffentlichen Brunnen errichten. Dieses Gesuch fand huldvollste Geehmigung – ein Hoffnungeschimmer für die obere Gasse.

Im Jahre 1898 wurde der Verbindungsweg Wildenreuth/Gerbersdorf nach 25 Jahren langer Wartezeit zur Distriktstraße erhoben. Der Hohlweg auf der Nordseite Haus-Nummer 26/27 wurde als Straße aufgelassen und auf die Südseite dieser Häuser verlegt. Zur Deckung dieser Umbaukosten waren ungefähr 800.– RM nötig. Um die bestehenden Umlagen nicht erhöhen zu müssen, wurde die Einführung des Lokalmalz- und Bieraufschlages vom Bürgermeister und mir empfohlen. In der Gemeindeversammlung (kleines Schulhaus) wurde die Einführung des sogenannten Bierpfennigs mit 1/2 Stimme Mehrheit das 1. Mal gut geheißen. Gössenreuth, einige aus der oberen Gasse waren unter den Gegnern. Ein Gössenreuther Bürger bezweifelte die Gültigkeit der Abstimmung. Um den Gegnern eine hör- und sichtbare Niederlage zu bereiten, schaute ich einige schwach gewordene Wildenreuther scharf an, deutete auf die Stirne und wir ließen nochmals abstimmen. Die Mehrheit war um einige Stimmen gewachsen, der Gemeindeversammlungsbeschluß nun allgemein anerkannt. Das Gesuch um Einführung des sogenannten Bierpfennigs ging nun an das bayerische Staatsministerium des Innern ab. Wir veranschlagten den jährlichen Ertrag des Bierpfennigs auf RM 400.–, somit wären die Straßenbaukosten in 2 Jahren gedeckt. Die Genehmigung des Bierpfennigs erfolgte immer auf 10 Jahre, deshalb fragte das Ministerium des Innern an, für welche besonderen Zwecke etwa der Bierpfennig noch Verwendung finden könnte. Darauf hin wurde von der Gemeinde in einem ausführlichen Bericht die Notwenigkeit der Anlage einer Ortsgemeinde-Wasserleitung – die Versorgung der ganzen Ortsgemeinde mit Trink- und Kochwasser geschildert. Jetzt kam der Stein ins Rollen. Die Bierwirte der Gemeinde waren zu vernehmen, ob sie etwa Einwendungen gegen die Einführung des Bierpfennigs zu machen hätten. Gastwirt Leonhard Lehner, die Bierwirte Johann Bayer und Wolfgang Trötsch (Gössenreuth) erklärten, die Einführung des Bierpfennigs sei zu versagen, die Kosten können leicht durch Umlagen gedeckt werden.

Als Rentenverwalter bekundete ich für die Schloßschenke Wildenreuth und die Bierwirtschaft Glashütte in meiner Erklärung, der Bierpfennig könne von den in Betracht kommenden Brauereien und Bierwirtschaften hier ebenso wie in anderen Gemeinden getragen werden, die Bierwirtschaft bilde bloß einen Nebenerwerb, wegen des Betriebes werde in den einzelnen Bierwirtschaften keine besondere Person eingestellt und bezahlt.
Meine Befürwortung des einzuführenden Bierpfennigs fand in def, Genehmigungsurkunde des Ministers Anerkennung. Nun war ein Plan zum Bau einer Wasserleitung herzustellen. Die Gemeinde beauftragte damit das Wasserversorgungsbüro in München. Das war ein glücklicher Wurf, denn dieses Amt ordnete einen Vertreter, Bauassessor Wagner ab, der nach Wildenreuth kam, mit mir und dem Meßgehilfen Georg Frieser (Frieser Girgl) von nachmittags 2 – 8 Uhr die Messungen der neu herzustellenden Wasserleitung mit einer Genauigkeit und Umsicht vornahm, daß ihm vollstes Lob gebührte. Als Quelle war die alte, am unteren Tradweiher gelegene Quelle vorgesehen – damit die Anlagekosten keine zu hohe Summe erfordern. Unterwegs sagte ich auf Befragen des Assessors „Das Wasser der Quelle ist ein vorzügliches Trinkwasser. Werden in diesem Wasser Linsen gekocht, werden sie weich; es enthält keinen Kalk – wenigstens setzt sich in unserem Dampfkessel kein Kesselstein an“. Bei der Quelle angelangt, nimmt der Assessor seinen mitgebrachten Becher aus der Tasche um sich selbst von der Güte des gepriesenen Wassers zu überzeugen. Da entdeckt er zu unserem Leidwesen einen toten Frösch. „Ja, wie sieht denn die Quelle aus, ohne Fassung, ohne Dach! Das ist ein Mißstand!“ Ich ergänzte den Bericht über die Quellenschau: „Sagen wir nur gleich: Das ist ein Miststand“, „Ist das die einzige Quelle? Ist nirgendwo etwas Besseres zu finden?“ Die beste Antwort auf diese Frage erteilte der auf dem angrenzenden Felde arbeitende Hessenschreiner Ferdinand Rosenschon: „Droben auf den Schwarzwiesen, da ist der Lobesbrunnen, der hat das beste Wasser in der ganzen Flur“. „Haben Sie Zeit? – Können Sie uns den Brunnen zeigen?“ – „Nun, ich nimm mir halt Zeit“. Jetzt gingen wir halt bergauf zum Lobesbrunnen, in dessen Nähe noch 2 Brunnen lagen. Das Wasser wurde nach Wärme (+ 6 % C) und Geschmack untersucht und vorzüglich befunden. Der Assessor und ich waren über diese Entdeckung, über diese Wendung der Dinge hoch erfreut. „Diese Quellen liegen 42 Meter höher als der Ortspunkt (unterste Stufe vor dem großen Schulhaus)“. „Das gibt eine Hochdruckwasserleitung, eine Wasserleitung, zu der kann man ihnen gratulieren“, sprach seelenvergnügt der Assessor. Auf dem Heimweg machte ich mir schon ein Bild von der ab 8 Uhr anberaumten Ortsausschußsitzung. „Wenn Sie im Ortsausschuß die Vorteile des neuen Projektes der Hochdruckwasserleitung so darlegen, wie Sie es bei mir getan haben, da werden alle zustimmen“. Der alte Rögner (Gemeindediener) hatte die Ortsausschußmitglieder statt um 8 Uhr in altgewohnter Weise um 7 Uhr geladen. Diese Stunde wurde für den folgenden Beschluß verhängnisvoll. Da regnete es Einwände gegen Einwände gegen Wasserleitung und Bierpfennig. „Am Wassertrinken ist noch kein Mensch bei uns gestorben usw.“ Assessor Wagner bemühte sich, den großen Wert einer gemeindlichen Wasserleitung, die vom Lobesbrunnen ihren Anfang nehme, darzulegen und betonte diese günstige Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen. Ein Staatszuschuß zwischen 4000 – 5000 Mark stünde in Aussicht. Die Abstimmung war für unseren hoffnungsvollen Plan niederschmetternd: 1 Stimme (Bürgermeister Christian Lehner, Ellenbauer) dafür, die übrigen 5 Stimmen dagegen. Ich sagte in aller Ruhe: „Gebaut wird diese Hochdruckleitung, wenn nicht von den Vätern, so dann von deren Söhnen oder Enkeln. Einige Mitglieder entgegneten, wenn die Gemeindeversammlung dafür ist, sind wir auch nicht dagegen. Assessor Wagner sagte mir auf der Straße“ „Herr Lehrer, Sie kennen ihre Leute nicht. Die waren ja nicht zu bekehren“.

Ich entgegnete: „Herr Assessor, in vier Wochen ist die Sache nach unserem Wunsche fertig. Wir haben schon mehr durchgedrückt, wir drücken das auch durch“. Ganz ungläubig und verzagt schied der vortreffliche, uneigennützige Beamte von mir. Nach ein paar Tagen begegnete mir Johann Trötsch (der alte Mulzer) und sagte: „Herr Lehrer, ich hab' die letzten Nächte immer daran denken müssen, ich denk' wir haben in der letzten Sitzung eine Dummheit gemacht“. „Einen Beschluß kann man ja durch einen neuen abändern“ erwiderte ich. Trötsch fuhr fort: „Ich hab' schon mit dem Sperl (Johann Lehner) geredet, der meint auch: Wir müssen den Beschluß abändern“. Die Gegner des Wasserleitungsbaues wurden jeden Tag weniger. Die Gutsherrschaft, die sich bereit erklärte, an Stelle der bisherigen Holzlieferung für Leitungsröhren zur Deckung der jährlichen Zinsen und Tilgungsrate der aufzunehmenden Wasserleitungsbauschuld 400.– Mark Betrag zu leisten, erhöhte in entgegenkommender Weise diesen Betrag auf jährlich 500.– Mark. Die Gemeindeversammlung, die einberufen wurde, genehmigte nach kurzer Beratung den Bau der geplanten Hochdruckwasserleitung mit ungefähr 24000.– Mark Kosten fast einstimmig (eine Stimme war dagegen). Jetzt erstatteten wir Bericht an das Wasserversorgungsbüro München (Sommer 1901). Die Vorarbeiten wurden eingeleitet. Die Ergiebigkeit der Brunnenquellen wöchentlich von Johann Grünbauer unentgeltlich (auch im Winter) gemessen und die Minutenliter in ein Verzeichnis eingetragen. Von den einzelnen Quellen sandten wir Proben Wassers an die Untersuchungsanstalt für Nahrungsmittel nach Erlangen.Der Befund lautete äußerst günstig (vorzügliches Trinkwasser). Dann erfolgte die Ausschreibung der Bedingungen, unter denen der Bau der Hochdruckwasserleitung an Baufirmen übertragen werden soll. Von den sich gemeldeten Firmen wurde nach vorheriger Auskunftseinholung die Firma Pfister und Schmidt, München gewählt. Nach dem Bauplan waren 6 öffentliche Brunnen vorgesehen. Die Kosten der Anschlußleitungen hätte jeder Hausbesitzer übernehmen und tragen müssen. Die minderbemittelten Bewohner, die ziemlich weit vom Hauptstrange der Leitung wohnten, wären ,kaum in der Lage gewesen, diese Last zu tragen. Unter Tränen erzählte mir Frau Margarete Müller, geb. Stock: „Von der neuen Wasserleitung haben wir an der Außenseite des Dorfes nichts. Da muß ich bis zum Frieser Girgl laufen. Das ist auch fast so weit wie bis zum Herrnmühlbrunnen, den Anschluß können wir nicht zahlen“. Ich sagte ihr: „Das Jammern hilft nichts. Schreibt ein Gesuch an den Ortsausschuß und bittet, daß die Gemeinde die Kosten aller Hausanschlüsse, ob lang oder kurz, bis zur Grundmauer übernehme, dann brauchen wir keine öffentlichen Brunnen“, „Wenn halt Sie des schreibet'n“. „Heute schreibe ich es noch. Ihr Mann soll heute alle Beteiligten einladen, daß sie morgen abends um 7 Uhr zum Hessenschreiner Ferdl kommen und dort das Gesuch unterschreiben.“ Das geschah. Für die Wirtshäuser, denen ich während der Wasserleitungsverhandlungen fern blieb, gab es jetzt neuen Gesprächsstoff, der die Gemüter erhitzte. Die entstehenden Mehrkosten beliefen sich auf 4000.– Mark. Ja, einer von den Gegnern wollte Herrn Baron, der als Höchstbesteuerter am meisten zu leisten hatte, umstimmen – aber ohne Erfolg. Herr Baron Friedrich Karl von Podewils brachte das Opfer gern und das danke ich ihm im Namen der 26 Gesuchssteller heute noch. Während der Bauzeit (Sommer 1902) war ich fast täglich auf der Baustelle. Die Firma Pfister & Schmidt hat ihre Aufgabe glänzend gelöst. An der Kirchweih 1902 war schon die Wasserleitung in Fluß. Das war ein Kirchweihfestgeschenk für unsere Hausfrauen und Dienstboten.

Wassermesser wurden nicht angebracht, ein Wasserzins nicht erhoben. Der Staatszuschuß zu den Baukosten betrug 4750.– Mark. Wildenreuth war die erste Gemeinde im Bezirksamte Kemnath, die eine gemeindliche Wasserleitung erbaute. Dann folgte Steinbach, Erbendorf, Waldeck, Kemnath, Krummennaab.
Den Dienst als 1. Brunnenwart übernahm der Schuhmacher Johann Müller, ihm folgte als zweiter Simson Fritzmann. Hydranten sind genügend vorhanden.

Georg Götz, 14.10.193711

 

nach oben